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Wie sprachsensibler Unterricht das Lernen erleichtert
„Wir sind die einzige Schule in Hamburg, die sprachsensiblen Unterricht flächendeckend angeht“, sagt Schulleiter Carsten Mai. Der Grund: Die meisten Schüler*innen sind im Deutschen nicht beheimatet. Sie müssen neben dem neuen Beruf eine neue Sprache lernen. Auf der alles Fachliche aufbaut. Zusätzliche Förder- und Deutschkurse passen allerdings kaum in den Alltag der Pflegeschüler*innen. Denn sie arbeiten in Vollzeit mit 39 Stunden, dazu kommen der Berufsschulunterricht und die Hausaufgaben. Ein zusätzlicher Sprachkurs, das wurde ausgetestet, ist einfach „zu viel on top“. Gleichzeitig zeigt die Auswertung von Ausbildungsabbrüchen: Fehlende Deutschkenntnisse tragen dazu bei, dass Azubis aufgeben.
Deutsch hat es in sich - erst recht in Fachbüchern
„Selbstmanagementkompetenz“ steht an der Tafel. Ein Bandwurmwort aus dem „Expertenstandard Schmerz“. Ein zentraler Begriff also. Insa Hinrichs blickt in die Klasse. Nicht alle Auszubildenden scheinen die Bedeutung zu verstehen. „Schauen wir doch mal nach, welche Worte darin stecken“, beginnt die Berufsschullehrerin. Und wirklich, der drei geteilte Begriff „Selbst-Management-Kompetenz“ wird zugänglich. „Das bedeutet, dass jemand mit seinen Schmerzen umgehen kann“, kommt es aus der Klasse. Insa Hinrichs bestätigt: „Genau. Ein Patient hat den Schmerz im Griff. Nicht umgekehrt.“ So sieht sprachsensibler Unterricht aus.
Fortbildung für das gesamte Kollegium
Die ersten Anregungen zur sprachsensiblen Unterrichtsgestaltung hatten vier Lehrkräfte aus ihrer Fortbildung am Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) mitgebracht und auf dem Klausurtag vorgestellt. Sofort wurde klar: „Da wollen wir uns engagieren.“, erinnert sich Maja Drephal, die stellvertretende Schulleiterin. Und so wurde ein Unterricht, der das berufliche Lernen erleichtert, zum Projekt der Schulentwicklung 2025. An fünf weiteren Klausurtagen arbeitete das frisch fortgebildete 25-köpfige Kollegium an der sprachlichen Zugänglichkeit von Unterricht und Arbeitsmaterialien. Es wird noch eine Weile dauern bis alles überarbeitet ist, aber der Anfang ist gemacht.
Sprachsensibel im Unterrichtsalltag und in Prüfungen
Insa Hinrichs hat aus der HIBB-Schulung die „Visualisierung“ mitgenommen. Wichtige Begriffe aus Diskussionen im Klassenraum schreibt sie jetzt immer an die Tafel. Zum Nachlesen, aber auch zum Bewusstmachen der Bedeutung. Sprachsensibler Unterricht heißt außerdem: Schachtelsätze vereinfachen, Situationsbeschreibungen entschlacken, einfache Namen wie „Maria“ oder „Frau Müller“ verwenden. Handlungsanweisungen wie „Analysieren Sie… “ werden fett gedruckt und so hervorgehoben. Auf den Arbeitsblättern steht nur, was pflegerelevant und für die Bearbeitung der Aufgabe erforderlich ist. Schmückende Details wie „der Blumenstrauß auf dem Fensterbrett“ entfallen. Der Erfolg zeigt sich jetzt schon: Die Schüler*innen haben weniger Verständnisfragen. Auch in Klausuren.
Hospitationen und Feedback
Im laufenden Schuljahr holen sich Lehrer*innen Feedback von hospitierenden Kolleg*innen, regelmäßig aber auch von ihren Schüler*innen. Können sie doch am besten einschätzen, ob die neuen Handouts besser zu verstehen sind. Maja Drephal unterstützt das Einholen von Feedback. Genauso wichtig sind ihr „eine offene Fehlerkultur“ und ein Methodenrepertoire, von dem alle Schüler*innen profitieren. Insa Hinrichs liest außerdem in den Gesichtern ihrer Klasse: Wirkt jemand ‚lost‘ oder denken alle konzentriert mit? „Sie sagen ja nicht immer Bescheid, wenn sie etwas nicht verstehen“, weiß die erfahrene Berufsschullehrerin und fügt hinzu: „Ich habe allergrößten Respekt vor den Pflegeschüler*innen, die ihren Beruf in einer für sie neuen Sprache lernen.“
Berufsschullehrerin Insa Hinrichs beim sprachsensiblen Unterricht (Foto & Text: Christiane Zwick)